Vom Geflecht zum Werk: Tecta Bauhaus-Newsletter-Serie

Der schönste Stuhl
des letzten
Jahrhunderts

1926 ist das Jahr der Konstrukteure und Pioniere: Die Lufthansa AG wird gegründet, das Bauhaus Dessau und der Funkturm in Berlin eingeweiht. Ebenfalls mit Sitz in Berlin wird die Daimler-Benz AG und die Architektenvereinigung »Der Ring« ins Leben gerufen, zu der Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe zählen.

Letzterer hatte im gleichen Jahr mit einem Handstrich den schönsten Stuhl des Jahrhunderts entworfen: den Weißenhofstuhl*. Zur außergewöhnlichen Form und Funktion fehlte nur noch eins – der Sitz und die Bespannung. Dafür stand Lilly Reich, Innenarchitektin, mit charmantem Lächeln, resolutem Bob und 1920 als erste Frau im Vorstand des Deutschen Werkbundes tätig.

1926 lernte sie Ludwig Mies van der Rohe kennen, arbeitete mit ihm an der Stuttgarter Werkbundausstellung und gehörte seinem Büro an. »Es war die richtige Frau am richtigen Ort mit dem richtigen Materialgefühl,« berichtet Axel Bruchhäuser. »Denn sie hatte die entscheidende Idee, ein Naturrohrgeflecht auf den Stuhlsitz einzubringen«.

Gemeinsam reifte im Atelier von Mies van der Rohe das natürliche »Gesicht« des Weißenhof-Stuhles. Es wurde ein Korbgeflecht-Meister einbestellt, um gemeinsam mit Reich die neue Ästhetik zu entwickeln. »Sie hat das Doppelrohrgeflecht als kühne Gestaltungsidee eingebracht«, schildert Bruchhäuser, »als bewusste Abgrenzung und im Gegensatz zum Stahl. Der Stuhl war wie ein Gesamtkunstwerk, das mit filigraner Hand bespannt worden war.«(…)

aus: Newsletter-Serie für Tecta, 2015